
DNF – doch der Super Berlin Express ist soviel mehr
Titelbild: Rick Ryder & KI
Mein dritter SBE747 liegt frisch hinter mir. Das zweite Mal aus Gründen nicht gefinisht. An sich ein guter Grund, über sich selber enttäuscht, unzufrieden oder sogar wütend zu sein. Was bedeutet ein DNF also für mich persönlich bei diesem Event? Was macht ein „Gescratched“ mit mir? Lässt es mich an mir selber zweifeln? Nagt es an meinem Stolz? Bedeutet das einen Knick in meiner Motivation für solche Geschichten? In Kurzform: Definitiv Nein! Und hier der Versuch, das Phänomen SBE747 zu erklären.
Spielregeln des SBE
Der Super Berlin Express hat seine ganz eigenen Spielregeln, die man in keinem Roadbook, keiner Info-Mail und keiner Radzeitschrift nachlesen kann. Nach nur sechs Ausgaben des Events hat Rick Ryder, der allseits geschätzte, sympathische und höchst beliebte Macher hinter dem SBE, es geschafft, einen Mythos zu erschaffen.
Bei der ersten Ausgabe standen nur sieben Verrückte am Start, bei der diesjährigen Fahrt waren es rund einhundert Leute, die sich diesem Erlebnis hingeben wollten. Viel Mundpropaganda über die Jahre und auch vereinzelte Berichte im Netz zementierten ein Fundament an reichhaltigen Geschichten aus Abenteuerspirit, zermürbenden Streckenabschnitten, Heldentum und Versagen, technischen Debakel, unfassbar leeren Landstrichen, Einsamkeit in der Natur, (gefahrvollen) Nachtfahrten mit ganz eigenen Geräuschen, dem Finden von unglaublichen Freundschaften fürs Leben und dem Verlassen der eigenen Komfortzone. Du, dein Bike und der Rest wird sich finden. Irgendwie. Es wird.
Eine eigene Messenger-Gruppe, in der sich immer wieder neue Teilnehmer einfinden, schlummert ein dreiviertel Jahr vor sich hin. Erweckt wird sie kurz vor und während der Anmeldung und fällt dann zunächst in ein Delirium zurück. Doch wenige Tage vor dem Start des SBE wird sie der Dunkelheit entrissen und blüht mit immenser Vorfreude aller auf. Ein surrendes Kribbeln erfasst diesen eigenen Kosmos. Wie wird das Bike gepackt? Was wird mitgenommen? Wie wird die Strecke wohl sein, die noch nicht offiziell draußen ist? Und: Welches Bike nehme ich überhaupt? Rennrad? Gravelbike? Dünne Reifen? Breite Reifen? Die Meinungen sind mannigfaltig, der Austausch ist rege.

Die Streckenführung ist meist eine Gemengelage an herrlichsten, nie enden wollenden einsamen Landstraßen, tiefen Sandpassagen in noch einsameren Wäldern in den (Un)tiefen von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, Kopfsteinpflaster-Abschnitten, die einem das Gehirn aus der Verankerung reißen können und atemberaubender Natur, die ihresgleichen sucht.
Du, dein Bike und sonst nichts
Und mittendrin: Du, dein Bike und sonst nichts. Mit nichts anderem beschäftigt als mit dir selber und dem konstanten Pedalieren. Die Gedanken drehen sich nur darum, wo die nächste Versorgungsmöglichkeit besteht und eventuell heute spät in der Nacht ein Schlafplatz unter einem kleinen Vordach einer abgefuckten Bretterhütte mitten im Nirgendwo zu finden ist. Nur ein Stündchen Schlaf, dann geht es weiter. Bitte! Es reicht auch eine halbe Stunde. Du brauchst auch kein Vordach. Einfach umfallen. Ja, das tut es auch. Der Komfortanspruch sinkt während der Fahrt permanent. Die Ansprüche werden immer geringer. Und es ist dir egal. Völlig.

Du klingst dich irgendwann völlig aus dem normalen Universum aus, bist gefangen im Super Berlin Express-Kosmos und willst trotz des sich irgendwann einfindenden Leidens und der Entbehrungen am liebsten niemals wieder aus diesem heraus. Trotz des Regens in den Sandwüsten, der dein Bike aussehen lässt, als ob es ein Schokofahrrad wäre, trotz der dir in den Nacken brennenden Sonne, die dir das letzte Bisschen Feuchtigkeit aus dem ausgedörrten Körper saugt.

Sonne, Mücken, Regen und Kälte
Mücken! Trilliarden von Mücken! Hältst du an, bist du sofort Beute! Diese kleinen Nervensägen zermürben dich. Mückenspray hält sie nur kurz von dir fern. Und hast du eine Stelle vergessen einzusprühen, kannst du darauf wetten, genau dort gestochen zu werden. Liegst du Abends irgendwo im Schlafsack, wirst du das Surren um dich herum wahrnehmen. Schlafen? Es kann schwierig werden. Am nächsten Tag wirst du die Stiche nicht an zwei Händen abzählen können, wenn du Pech hast. Ja, Mücken gehören zum SBE wie das Wasser in den Trinkflaschen.
Die bist gebeutelt. Und dann kommt eine Tankstelle. Direkt am Track gelegen und du bist der glücklichste Mensch der Welt. Denn dort in den Tiefen Eistruhe, da wartet ein herrlich leckeres Eis zu einem wahnsinnig hohen Preis auf dich, im Kühlregal lässt sich immer eine leckere, prickelnde Brause finden und süße Schokoriegel und anderes Zeugs liegen direkt vor dir unterhalb der Kasse, das dich diebisch freut. Mit zittrigen Fingern bezahlst du die Paradiesware.
Dann sitzt du in deinen eigenen, von Schweiß durchtränkten Radklamotten vor der Tankstelle auf dem Bordstein, der Benzingeruch wabert um deine Nase und du isst mittendrin all die Leckereien, die du nur tragen konntest genüsslich und mit voller Inbrunst. Oder du kauerst dich fröstelnd an die Betonwand und versuchst, den Regentropfen zu entkommen, die dir seit Stunden trommelnd auf dem Fahrradhelm klarmachen wollen, du solltest besser aufhören, es wird sonst alles nur noch schlimmer. Entbehrungen und Leid, nackte Freude und Euphorie im Unermesslichen liegen ganz dicht beieinander. Wer so etwas noch nie mitgemacht hat, wird darüber erstaunt, wenn nicht sogar verwirrt sein, wenn ich sage: Das ist schön! Unfassbar schön.

Zu all dem gehören nämlich auch noch die „Randnotizen“. Kleine, aber nicht ersetzbare Details, die man niemals vergisst. So denke ich dabei an den Checkpoint in Zempow, im „Einladen“. Wo das kleine Dorf sonst seine nötigsten Einkäufe erledigt, fallen nach und nach die Teilnehmer ein, weil sie wissen, hier gibt es Support in Form von warmen Essen und tollen Getränken. Evelyn ist die gute Fee des Hauses und sorgt für alles und jeden.
In diesem urig-kleinen Laden kann man Zuflucht bei Regen suchen und sich bei einer köstlichen Suppe wieder aufwärmen. Bei Sonne gibt es Eis und kühle Getränke und man sitzt draußen auf bunt zusammengewürfelten Stühlen und Bänken. Ein wahres Kleinod. Dazu gibt es das Autokino (!) nebenan, wo Abends noch ein Film gezeigt wird und auf der Wiese gezeltet werden kann. Unglaublich.
Support-Crew des Super Berlin Express
Aber vor allem trifft man dort Fahrer(innen), mit denen man für einen Augenblick seine Geschichte teilt und auf Mitgefühl hofft, aber andererseits auch Menschen, denen man sich auf dieser Strecke nun für ein Stück oder, wenn es passt, bis ans Ende der Tour anschließen kann. Weil man Angst oder Respekt vor dem jetzt noch Kommenden hat.

Hier entscheidet sich auch oft, wer noch weiter in die Einsamkeit hinein fährt, denn meistens wird es ab hier bald Nacht, die Versorgungsmöglichkeiten nehmen rasant ab, wenn man nicht schnell genug ist. Doch das ist der Reiz. Die Stimmung der Dämmerung über den Feldern aufsaugen, hinein in die dunkle Nacht und die noch dunkleren Wälder. Berlin ist noch weit. Was für eine Atmosphäre. Zu vergleichen…mit nichts. Schaurig schön und verführerisch funkelnd zugleich.

Wenn das Wetter gut ist, kann man irgendwann vielleicht am Horizont das helle Licht der Großstadt erahnen. Dorthin treibt es die Fahrer, die Spokecard, die Karte also, die zurück nach Hamburg gebracht werden muss, ist dort irgendwo versteckt. An der Glienicker Brücke oder am Fort Hahneberg, die Wahl der Orte hat einen grandiosen Spirit. Und dort gibt es Support vor Ort. Liebevoll, mit Getränken und Snacks und stets gut gelaunter Support-Crew. So schön. So herzlich. So wunderbar.
Doch hier ist nicht das Ende. Der Weg geht weiter, zumindest für die meisten. Doch den Anstrengungen Tribut zollen, das tun viele und steigen manchmal dann aus dem schönsten Zug der Welt aus. Die anderen begeben sich auf weitere 400 Kilometer zurück nach Hamburg. Manche werden durch Pannen auf undefinierbaren Pisten oder herrlichsten Asphalt aus dem SBE ausgespuckt. Oder wegen Schmerzen, wegen mangels an Kraft und anderer Unannehmlichkeiten. Sie fahren dann höchstens noch aus der Pampa im Nirgendwo mit einem ruckelnden, alten, nichtssagenden DB-Zug zurück nach Hamburg.
Alle sind Helden
Die Heroen erreichen Hamburg mit erhobener Spokecard. Begeistert, zermürbt, gekennzeichnet und doch glücklich, diese Challenge erfolgreich mit sich selber ausgetragen zu haben. Die Euphorie ist dann hoch, doch genauso schnell fällt sie wieder ab. Im Ziel steht niemand oder nur selten. Kein Hurra, kein Jubel, kein Empfangskomitee. Konfetti? Fehlanzeige. Aber das braucht es auch nicht. DU bist zurück! Hast es geschafft. Und das ist es, was zählt.
Dieses unfassbare, nicht greifbare Abenteuer kann dir keiner mehr nehmen: Dennoch: das Schwierigste nach diesen Tagen kommt erst noch: die Rückkehr in das normale Universum, verbunden mit der in diesem Moment unerfüllbaren Sehnsucht, trotz Schmerzen, wundem Hintern und anderen Leiden, so schnell wie möglich wieder aufzubrechen. Abenteuer! Mehr davon! Das ist der Super Berlin Express. Er ist soviel mehr als ein DNF! Danke, Rick und der gesamten Support-Crew!
DNF – is‘ halt so, weil selber schuld
Ja, das DNF steht bei mir. Das hat wahrscheinlich ein paar Gründe. Kleinigkeiten. Dennoch in der Summe etwas zu viel. Das größte Problem war wohl die Wahl des falschen Rads. Da für dieses Jahr mit mehr Gravel zu rechnen war, sollte mich mein Rose Backroad durch die Landschaft bugsieren. Doch der Anteil an gut zu rollenden Asphalt war dann doch zu hoch. So fuhr ich mit dem Gravelbike einen Rennrad-Schnitt, der mich richtig Körner kostete. Zu lange im roten Bereich. Aber ich bin selber schuld. Dazu kamen einfach zu wenig Pausen. Eine große bei der lieben Evelyn und eine für fünf Minuten vor einem Bäcker, das war einfach zu wenig. Da half der Burger in einer bekannten Frittenschmiede mitten in der Nacht auch nicht mehr. Ich hätte es besser wissen müssen. Berlin wurde zwar nach fast 400 Kilometern am Stück erreicht, die Spokecard abgeholt, doch nach nur wenig Schlaf war die Kraft und Motivation weg. Aus dem Loch kam ich nicht mehr raus. Die Beine waren sackschwer. Ich war völlig geschrottet. Und dann muss man sich fragen, ob das noch Sinn macht. Am Ende bin ich trotzdem zufrieden. Und es freut mich für alle anderen riesig, wenn sie den SBE gefinisht haben. Eine grandiose Leistung. Absolut geil. Ich freue mich für alle Teilnehmer mit und drücke die, die es, wie ich nicht gepackt haben. Nächstes Mal dann wieder...
Infos zum Super Berlin Express findet ihr auf der Hompage.
Dafür könnt ihr aber auch noch mal meinen Blog-Artikel aus dem letzten Jahr lesen. Eine Einladung zum Träumen!


2 Comments
Conny
SBE Grenzerfahrung – musst Du wissen. Rennradschnitt mit Backroad ist mit 35 mm G-ONE RS einigermaßen möglich. Wie der im nassen Sand fährt? Keine Ahnung. Denk mal über richtige Regeneration & Ernährung nach!😬 Gute Erholung und tschüss
Jimmy
Wunderschön zusammengefasst! Mein Hirn hat beim lesen wieder genau so gewackelt, wie auf dem Kopfsteinpflaster. Erstaunlich, dass du so kurz nach so einer Tour einen solchen Artikel schreiben kannst. Ich versuche grad mit tauben Fingern Emails zu beantworten und scheitere kläglich… 😅