
Wie schön ein Overnighter sein kann
Manchmal braucht es nur den passenden Moment und einen guten Freund, um eine schöne Tour in ein besonderes Erlebnis zu verwandeln. So geschehen beim ersten Overnighter diesen Jahres für mich. Kurz vor den Ostertagen ließ das Wetter aufhorchen. Sonne, blauer Himmel und…warm! Ein schon fast nicht mehr gekanntes Phänomen. Da sprang mir doch direkt mal der Puls vor lauter Freude in die Höhe. Und als Timo dann zusagte, den Overnighter trotz seines Geburtstages mitzufahren, passte alles perfekt zusammen.
Zwar mussten wir wegen meiner Arbeit den Start um einen Tag nach hinten verschieben, dennoch sollte das Wetter weiterhin mitspielen. Allerdings wußten wir, dass die Temperaturen Abends noch in den Keller gehen konnten. April halt.
In der Hoffnung alles Wichtige eingepackt zu haben, fuhr ich früh morgens mit dem Rad schon zur Arbeit. Was ein Segen, dass ich mir seinerzeit mal eine Checkliste am Rechner gebastelt hatte, auf der ich ankreuzen kann, was ich bereits eingepackt habe und was nicht. Das macht das Bikepacking recht easy.

Timo holte mich Mittags direkt an der Firma ab, um dann endlich raus aus dem Pott und ab in die Natur zu fahren. Um überhaupt aus dem Pott zu kommen, vor allem auf grünen Schleichwegen, braucht es manchmal ein gutes Planungstool. Momentan arbeite ich mich etwas an dem coolen Tool von CXBerlin ab. Dort kann man speziell „Gravel-Strecke“ angeben, ein paar Punkte setzen und dann spuckt das Programm wunderbare Tracks aus.
So wie in unserem Fall. Der Weg von Essen durch Gelsenkirchen ist nicht immer gut zu fahren. Doch dieses Tool findet oftmals überraschende Wege, ich bin da momentan echt von angetan. Zurück zu unserem Overnighter.

In Gelsenkirchen-Beckhausen, die Schalke-Arena in Sichtweite, fuhren wir durch schönes urbanes Grün. Mit Pferdekoppeln und Feldern würde man nicht meinen, dass man quasi im Herzen des Potts wäre. Rüber und vorbei am Schloss Berge ging es in den Westerholter Wald. Vom „Glück-Auf Park Hassel“ hatte ich noch nie gehört, dieses recht neue Kleinod. Beeindruckend am wohl alten, östlich gelegenen Eingang der Kokerei Hassel sind die bildhauerischen Elemente an der damaligen zeitgemäßen architektonischen Fassade.

Es wurde von nun an schnell grüner. Die Sonne schien uns schön auf dem Buckel. Die Vögel in den Bäumen zwitscherten uns auch ihr Lied. Das hatten Timo und ich uns erst für den Abend vorgenommen. Also das Zwitschern. In Form von ein, zwei, drei kleinen Bierchen in der Schutzhütte.
Doch bis dahin waren es noch ein paar Kilometer. Marl, die dortigen Leser bitte nicht missverstehen, ließen wir rechts, nicht links, liegen. Die einzigartige Landschaft der Hohen Mark lag vor uns. Hier würden ein paar wenige Höhenmeter anfallen. Wir durchfuhren Lippramsdorf und tauchten ein zwischen frisch gesäten Feldern und den langsam grün werdenden Wäldern in eine wunderbare Ruhe. Der Hektik des Alltags entkommend. Das warme Licht der Sonne tat mal so richtig gut.
Wir quatschten unablässig und mussten oftmals herzhaft lachen. Die Stimmung war recht ausgelassen. Durch die Holtwicker Wacholder Heide, einem kleinen herrlichen Landstrich, drangen wir tiefer in die Hohe Mark ein. Wir staunten darüber, dass die Wege völlig leer waren von Menschen. Bei dem Wetter hätten wir mit mehr Spaziergängern und Radfahrern gerechnet. Nichts für ungut, aber uns gefiel die Einsamkeit recht gut.
Abwechslungsreich waren die geplanten Wege allemal. Eine gesunde Mischung aus Vorankommen auf Asphalt und schicke Gravel-Einlagen mit Schotter- und Waldwegen. Einen Bogen schlugen wir in Richtung Klein Reken. Wir hatten schließlich Zeit und die Landschaft war einfach zu schön, um dieses Stück Natur auszulassen.
Danach fuhren wir wieder südlich. Vor Sonnenuntergang wollten wir in Wulfen noch mindestens eine Pizza die Futterluke hinunterkippen. Nicht zu vergessen, dass gewisse Hefegetränke für einen lauschigen Abend in der Schutzhütte besorgt werden wollten. Die Pizzeria, die auch gleichzeitig ein Grill war und somit qualitätsmäßig verdächtig ist, war definitiv besser als gedacht. Die Kräuterbutter war allerdings heftig mit Knoblauch getränkt, so dass uns Nachts bestimmt keine Tiere zu nahe kommen würden. Wir saßen auf einer kleinen Mauer direkt an dem nebenan grenzenden Supermarkt während wir an unseren Pizzen mümmelten. Idealer Stopp also, um hinterher noch Getränke zu fassen.
Wie wir da so saßen, grinsten uns verschiedene Leute im vorbeigehen immer wieder an. Wir hatten keinen Plan wieso. Anscheinend sahen wir aus wie Pat und Patachon. Wir hatten keine Plan, was so witzig war. Vielleicht lag es auch daran, dass wir ganz einfach zwei sausymphatische Jungs auf ihren coolen Bikes sind. Oder umgekehrt. Egal.
Vierzehn Kilometer waren noch zu fahren. Die Dämmerung kam mit schnellen Schritten. Das Licht wurde eingeschaltet. Zumindest mein Vorderlicht. Denn Timo hatte nur die Stirnlampe mitgenommen. Aber im breiten Schein meiner Lampe waren die letzten wenigen Meter durch den Wald kein Problem.
Das Problem war eher: die Hütte schien schon besetzt zu sein. Worst Case. Wir kamen um die Ecke und Kerzenschein empfing uns samt Gemurmel. Was war hier los? Im Schein von Stirnlampen und Kerzenflackern saßen dort an einem aufklappbaren Campingtisch ein Mann und zwei Frauen und spielten irgendein Gesellschaftsspiel. Mit Eierlikör-Böhnchen ging da spielerisch die Post ab.
Alles halb so wild, es ging ihnen also nicht ums übernachten, sondern einfach um’s abendliche Spiel um Sieg oder Niederlage. Eine coole Idee. Timo und ich störten keinesfalls. Wir hievten unsere Räder fünf Stufen höher auf eine Art Veranda. Dort standen die Wand entlang Bänke, auf den Boden war genug Platz für Luftmatratze und Schlafsack. Die Räder konnten wir bequem an das Geländer lehnen. Ein perfekter Platz.

Wir kamen mit der kleinen Gruppe ins Gespräch, es war sehr nett. Sie waren ganz erstaunt darüber, was wir da taten und fanden das wohl ziemlich verrückt mit diesem Overnighter. Gerade auch, weil es die Nacht ziemlich frisch werden sollte. Nachdem wir uns schnell dort eingerichtet hatten, öffneten wir das noch kalte Bier und stießen erstmal auf Timos Geburtstag an.
Irgendwann packte die nette Gruppe ihre sieben Sachen, überließ uns freundlicherweise die Kerzen und verabschiedeten sich dann in die Nacht. Im Licht unserer Stirnlampen und der Kerzen quatschten wir noch eine ganze Weile. Den Sternenhimmel betrachteten wir ehrfurchtsvoll. Hier, in Mitten der Natur, und der klaren Luft, funkelten die Sterne am Firmament klar und deutlich.
Wir merkten, wie frisch es mittlerweile geworden war. Wir verkrochen uns in unsere Schlafsäcke auf der Suche nach etwas Wärme. Doch es sollte kälter werden als gedacht. Trotzdem ich mich schon mit einigen Lagen Kleidung eingedeckt hatte, gab es im Schlafsack nur ein Mindestmaß an Wärme. Timo ging es anscheinend genauso. Drei Grad waren jetzt nicht gerade eine Hitzewelle wie beim Overnighter beim Orbit360 im letzten Jahr.

Vielleicht hatten wir die Temperaturen für diesen Overnighter tatsächlich etwas unterschätzt. Trotz optimaler Schutzhütte kamen wir somit auf fast nur zwei Stunden Schlaf. Nicht viel. In der frühmorgendlichen Dämmerung schien der Mond am Horizont knapp über den Baumwipfeln. Durch das Holzgeländer konnte ich ihn gut sehen. Eine wunderbare Ruhe lag über der ehemaligen Kiesgrube, die hier vor uns langsam wieder von der Natur zurückerobert wird. Trotz schon fast frostiger Kälte hatten wir alles richtig gemacht.
Um sieben Uhr, nach eher dösen als schlafen, waren wir dann wieder komplett wach. Wir verstauten unsere Habseligkeiten wieder an den Rädern und waren dann bereit für die Rückfahrt.

Herrlich frische Luft saugten wir in unsere Lungen. Die Tritte in die Pedale fühlten sich jedoch ziemlich unrund an. Wir fuhren in nördliche Richtung, natürlich war Gegenwind unser ständiger Begleiter. Was auch sonst. Unser Ziel war Borken, um dort einen offenen Bäcker zu finden. Karfreitag nicht ganz einfach, wie wir feststellen mussten. Also: Was wäre so ein Overnighter ohne ein gewisses Tankstellenleben? Genau. Wie gut, dass man sich wenigstens auf diese Verpflegungspunkte der Auto-Nation Deutschland verlassen kann.
Die Auswahl war sehr beschränkt, die Auslage war ziemlich leer. Zwei Schoko-Croissants mussten reichen für den kleinen Hunger. Und in der Hoffnung etwas Energie zu erhaschen, indem ich mir einen Espresso reinpfiff, rollten wir dann bald darauf erneut los.
Der Himmel hatte sich nun zugezogen, doch zumindest der Gegenwind liess uns in Ruhe. Er fiel uns nämlich jetzt ins Kreuz, da wir von jetzt an in südliche Richtung fuhren. Was ein Segen. Denn Kraft hatten wir immer noch nicht in den Beinen. Es war krass zu fühlen, wie wenig Power wir anscheinend nur in unseren Hobby-Radler-Beinchen nach so wenig Schlaf hatten. Das Land war zwar ziemlich platt um uns herum, aber sobald mal eine Landstraße über eine Brücke überquert wurde, schoss uns das Laktat heftigst in die Beine. Wo man sonst drüber fliegt, murrten die Muskeln begehrlich auf.
Half alles nichts, trotzdem ließen wir uns den Spaß nicht verderben und machten unterwegs einige Experimente mit unseren Fotoapparaten. Mal mehr, mal weniger gelungen. Wir rollten durch die Landschaft, die Strecke war schön zu fahren. Immer wieder kleine Abbiegungen ließen die Route abwechslungsreich erscheinen. Der Kies unter den Reifen knirschte schön, auf Asphalt surrte die Kette in einen angenehmen Ton.
Nachdem es zuvor menschenleer gewesen war, gab es jetzt öfters mal jemanden zu sehen. Untrügliches Zeichen, dass wir bald zurück in der Zivilisation des Ruhrpotts sein würden. Viele Wege wurden bekannter, die heimischen Gefilde kamen näher. Am Ende auch noch ein paar Höhenmeter, die uns erneut schwer fielen, wo wir sonst drüber lachen würden. In den Testerbergen gab’s obendrein noch eine Sandpassage, die die letzte Kraft aus den Stempeln saugte.
Gelungener Overnighter
Trotzdem, das Fazit bleibt ungebrochen: es war eine geile Runde und genau die richtige Entscheidung gewesen, diesen Overnighter zu machen. Es hatte alles perfekt zusammengepasst. Außer, dass es uns die Kälte doch etwas überrascht hatte, war alles Tip-Top gewesen. Einen Geburtstag kann man also durchaus mit einen Overnighter verbinden. Und das diese zwei Tage wie ein kleiner Erholungsurlaub waren, muss ich nicht nicht erwähnen. Also, es schreit nach einer Wiederholung. Dann gerne bei wärmeren Temperaturen.
INFO: Die Tracks unten auf komoot können in ein oder zwei Punkten ganz leicht abweichen vom wirklichen, gefahrenen Track. Bedingt zum Beispiel durch die Bäckerei, die nicht offen hatte. Ansonsten sollte die Streckenführung keine Probleme bereiten. Noch eins: grundsätzliches Motto sollte bei jedem Tripp in die Natur sein: Was ich mit hinein bringe, nehme ich auch wieder mit hinaus! Jeglicher Müll ist also zu vermeiden, nichts wird liegen gelassen, sondern Ordnungsgemäß entsorgt! Andere Menschen werden es euch danken. Und die Natur sowieso!


4 Comments
Maik Rosenkiewicz
Sehr schöne Story!
Heldenkurbel
Super Sache!
Da werden Erinnerung wach an unseren spontanen Overnighter im letzten Oktober. Da hatten wir ja auch kurz Sorge „unsere“ Hütte wäre besetzt. Ich habe übrigens seit Weihnachten einen besseren Schlafsack. Frieren war gestern! Habe ihn aber leider bislang noch nicht ausprobieren können.
Viele Grüße von mir an das Geburtstagskind!
Markus
bikingtom
Boah ja, das war auch eine total geniale Tour! Aber ich werde mir wohl auch mal ein besser präparierten Schlafsack zulegen müssen. Ist nicht verkehrt 😉 Ich hoffe, wir fahren bald mal wieder zusammen! Würde mich freuen! VG, Tom
Marius Ruthardt
Schön, habe ich zur gleichen Zeit auch gemacht. Eine Übernachtung in einer Schutzhütte, eine in einem Kiefernwäldchen.
Ach so, es waren ja Overnighter, wie ich hier gelernt habe.
Hört sich natürlicher hipper an. – Wer’s braucht. 🤷♂️