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Super Berlin Express 747

SBE747. Was sich liest, wie eine Mischung aus Regionalbahn und Flugzeugtyp, weißt tatsächlich eine Parallele auf. Es geht um Strecke machen. Mit dem Fahrrad. 747 bezeichnet demnach die ungefähre Streckenlänge, das Kürzel SBE bedeutet nichts weiter als Super Berlin Express 747! Start dabei ist die wunderbare Hansestadt Hamburg. Das Ziel ist es nicht einfach nur Berlin zu erreichen, sondern von dort eine mysteriöse Spoke Card zurück nach Hamburg zu bringen, die irgendwo an einem geheimen Ort versteckt ist. Wer also auf so eine Art Schnitzeljagd für Große steht, der ist bei diesem Longdistance-Ride perfekt aufgehoben.

Auch mich packte dieses Country Cat-Fieber zu Beginn dieses Jahres, als es darum ging, meine persönlichen Rad-Ziele für 2021 abzustecken. Mal eine lange Distanz zu fahren, da hatte ich Bock drauf. Eine neue Herausforderung, einfach mal sehen, was bei mir geht. Wieso also nicht? Und schwupp, war ich angemeldet. 

Worauf ich mich da eingelassen hatte, kannte ich nur von den vorherigen Berichten aus den anderen Jahren. Mit DOT-Watching verfolgte ich da die einzelnen Teilnehmer auf einer Karte im Internet. Das war spannend zu sehen, wie die einzelnen Punkte sich dort immer weiter bewegten und manche Teilnehmer den SBE747 in einem Rutsch durchfuhren. Total bekloppt. Schon damals war mir klar, dass ich das eines Tages ebenfalls mal ausprobieren wollte. Ich wollte auch mal ein Punkt auf dieser Karte sein. 

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Legenden-Status.

Der SBE747 in Sichtweite

Daher kam es, dass ich am Freitag, dem 11. Juni früh morgens um drei Uhr nach wieder mal viel zu kurzem Schlaf am Essener Hauptbahnhof stand. Das Gravelbike so minimal bepackt wie möglich. Gravelbike deswegen, weil kein geringerer als SBE747-Legende Harald Legner mir steckte, dass ich mit breiten Reifen besser aufgehoben sein würde. Dass ich ihm vertrauen konnte, war ja wohl klar. Wenn nicht ihm, wem dann?

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Um sieben Uhr morgens waren die meisten Teilnehmer schon aufgebrochen.

Um kurz vor sieben schlug ich dann in Hamburg auf, das Startfenster beim Super Berlin Express war offen gehalten worden in diesen Zeiten. Die meisten waren bereits um sechs Uhr losgefahren. Trotzdem standen noch ein paar Teilnehmer an den Alsterwiesen. Zwei davon hatte ich bereits im Zug getroffen. Ich wusste da sofort, dass sie nach Hamburg unterwegs waren. Denn kein Mensch fährt mit so einer Ausrüstung an einem Freitag morgen durch die Weltgeschichte Richtung Hamburg, ohne einen triftigen Grund zu haben.

Ich sackte meinen SBE747-Aufkleber ein, als Erkennung, dass ich am Start war. Als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich auf meinem WAHOO nicht die passenden Karten der Bundesländer geladen hatte. Verdammt! Das konnte ja was werden! Trotz akribischer Planung war mir das völlig durchgegangen. WLAN war weit und breit nicht vorhanden um Karten aufzuspielen. Daher fragte ich einen anderen Teilnehmer, ob ich mich ihm anschließen konnte, bis wir aus Hamburg raus waren. Danach war es kein Problem, nach der schwarzen Linie auf dem Wahoo fahren. 

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Es war mir eine Ehre!

Stefan (ich hoffe, ich habe den Namen richtig behalten, das ging alles so schnell) war auf einem eleganten Aero-Rennrad unterwegs. Ich dachte mir schon, dass er wohl die sportliche Variante gewählt hatte und ziemlich schnell unterwegs ein wollte. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er zumindest bis Berlin in einem Rutsch fahren wollte. Etwas über 400 Kilometer wären dass. Allerdings quatschten wir auf den ersten 40 oder 50 Kilometern recht viel. Es entstand ein sehr angeregtes Gespräch. Das empfand ich als äußerst angenehm. 

Die Sonne stand aber irgendwann dann doch so hoch, dass ich mir lieber noch die Sonnencreme auftrug. Hier, kurz vor dem Elbe-Lübeck-Kanal, trennten sich dann unsere Wege und Stefan gab Gas, während ich mich dem Sommerduft des Sonnenschutzes hingab.

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Bisschen Schotter hat noch keinem geschadet.

Der Super Berlin Express nimmt Fahrt auf

Ab jetzt fuhr ich alleine über die Straßen und teilweise Feldwegen, wo mir die 40er Bereifung doch sehr entgegenkam. Ich war guter Dinge, das Rad lief flott. Nicht ganz so schnell, wie zu Beginn mit Stefan, aber immer noch schnell genug. Ich musste aufpassen, nicht direkt zu überpacen. Das wäre nicht gut gewesen. Vor allem nicht bei dem warmen Wetter. Ich wusste, dass der Wind den Teilnehmern zumindest bis Berlin wohl gesonnen war.

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Wetter gut, Strecke gut, leichter Rückenwind, schöne Landschaft. Wenn das nicht geil ist, weiß ich auch nicht.

Darauf zu achten genug Flüssigkeit zu sich zu nehmen sollte an diesem Tag sehr wichtig sein. Dazu hatte ein Teilnehmer in der Facebook-Gruppe des SBE747 eine prima Marsch-Tabelle eingestellt, wo Bäcker, Einkaufsmöglichkeiten und Tankstellen darauf verzeichnet waren. Diese Art von Tabelle hatte ich für mich persönlich eigentlich auch erst zu Hause angefangen zu schreiben, aber diese hier war so gut gemacht, dass anscheinend sehr viele Teilnehmer sich diese Liste ebenfalls kopiert und aufs Oberrohr geklebt haben. Also Danke für die Mühe an dieser Stelle. 

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Keine moderne Technologie für die Marschtabelle.

Noch gut mit Vorrat bestückt fuhr ich in gutem Tempo vor mich hin. Ich fand schnell einen guten Tritt. Wirkliche Anstiege gab es nicht, sodass ich gut vorwärtskam. Ortsnamen wie Lehmrade, Testorf oder Zarrentin am Schaalsee machten mir jetzt nicht wirklich große Angst. Trotzdem suchte ich die nächste Tankstelle auf, um mal ein kühles Getränk zu erhaschen. Eine frisch-prickelnde Holunder-Schorle war ein echtes Highlight und tat höllisch gut.

Andere Teilnehmer flitzten in dem Moment vorbei, ein anderer hielt ebenfalls an dieser Tankstelle. Chris, so sein Name, hatte ein schickes Rad von Cannondale, gut ausgerüstet, war jedoch von Durst geplagt. Wir quatschten kurz, dann fuhr ich weiter.

Mittlerweile hatte ich Schleswig-Holstein hinter mir gelassen und ich befand mich in Mecklenburg-Vorpommern. Die Landschaft bot eine endlose Weite. Viele Felder, auf denen Weizen, Hafer oder Roggen angebaut wurde. Hier kamen wieder Feldwege, auf denen ich froh über die passende Radwahl war. Sandig, steinig und buckelig. Eine Tortur für diejenigen, die auf Rennrad-Bereifung gesetzt hatten. 

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Nächstes Bundesland voraus.

An Wittenburg vorbei und Dümmer hinter mir lassend, kam ich in den Großraum Schwerin. Wo ich bisher auf ziemlich verkehrsarmen Straßen unterwegs war, wurde es jetzt etwas unangenehmer an und auf den breiten Hauptstraßen. Da es bereits Mittags war, hielt ich nach einer Gelegenheit fürs Essen Ausschau. Eiskalte Cola und ein Burger waren – unvernünftiger Weise – meine erste Wahl. Doch schmeckte es mir in dem Moment ganz vorzüglich.

Chris fuhr in dem Moment, als ich draußen auf der Terrasse aß, auf der anderen Straßenseite vorbei. Er sah mich nicht und war schnell verschwunden. Als ich fertig war, schwang ich mich erneut in den Sattel und versuchte, durch den Straßendschungel mithilfe der einfachen Linie auf dem Wahoo zu navigieren. 

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Die ersten Seen tauchten auf und waren sehr verführerisch zur Abkühlung.

Das gelang zum Glück ganz gut. An einer Tankstelle den Wasserhaushalt wieder aufgefüllt und weiter ging der SBE747! Das Rad lief ganz hervorragend. Meine Beine waren in gutem Zustand. Das Tempo pendelte sich um die 27 km/h ein. Ich war zufrieden.

Zustieg beim SBE747

Ich hing meinen Gedanken nach. Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich gerade nicht viel um mich herum wahrnahm. In dieser Einöde trat ich permanent die Kurbel nieder und zog sie mit den Cleats wieder rauf. Ein gleichmäßiges Treten, wie ein festgelegtes Ritual. Auf-und-nieder-auf-und-nieder-immer-wieder. Dieser Flow gefiel mir gut. 

Irgendwann, irgendwo im Nirgendwo, sah ich dann Chris am Wegesrand stehen. Ich wusste nicht, ob er eine Panne hatte und fragte deshalb, ob ich ihm helfen könne. Es war aber alles gut. Von da an fuhren wir gemeinsam durch die endlosen Weiten Mecklenburg-Vorpommerns. 

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Mit Chris wurden Kilometer geballert.

Felder, die bis zum Horizont reichten. Windparks, die diese Landschaft wie große Pusteblumen durchsetzten. Der gelbe Raps als duftender Begleiter. Diese Kulisse durchschnitten wir mit unseren Rädern. Messerscharf. Mit Power in unseren kümmerlichen Beinen. 

Wir unterhielten uns. Über unsere Vorstellungen, wie wir den SBE747 jeweils absolvieren wollten. Über unsere Herangehensweise an so eine Geschichte und unsere Erfahrungen bisher. Wie und wo wir schlafen wollten. Interessant war es zu hören, wie unterschiedlich doch die Planung für diesen Country Cat war.

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Endlose, herrliche Weite. Getreide-Duft in der Nase.
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Sehenswerte Dörfer gab es auch!

Einig waren wir uns darüber, den stetigen Durst unserer trockenen Kehlen an den zur Verfügung stehenden Tankstellen zu stillen. Ich weiß gar nicht, was Radfahrer ohne diese Einrichtung für die Blechbüchsen machen würden. Ich glaube, die Tankstellenbesitzer wissen das ganz genau und haben daher meist ein Sortiment an Leckereien zu überteuerten Preisen und nutzen die Notsituationen der pedalierenden Bekloppten schamlos aus. 

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Nicht nur Asphalt erwartete die Teilnehmer des Super Berlin Express, sondern auch gediegene Gravelpassagen, wie an der Müritz-Elde-Wasserstraße. Rick Rider hatte sich ein paar kleine, aber feine Gemeinheiten ausgedacht. Wer da sein Gepäck nicht fest genug geschnallt hatte, würde aus diesen Passagen mit weniger Gewicht am Rad hervorgehen. Abwechslung wurde durchaus geboten.

Chris und ich fuhren weiterhin ein flottes Tempo, wir hielten uns gut. Der Plauer See lag nun vor uns. Schilder wiesen auf einen Campingplatz hin, den wir dann gerne anfuhren. Wir wurden freundlichst empfangen, eine schöne kleine Terrasse bot etwas Schatten bei kühlen Getränken. Dazu ein herrlicher Blick auf den See. Wir schwafelten über Schlafmöglichkeiten für den Abend, waren allerdings noch unentschlossen, wie wir das machen wollten.

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Pause am Plauer See.
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Auch andere Teilnehmer schienen sich hier gerne auszuruhen.

Es war ja auch noch hell, genug Zeit um noch Kilometer zu schrubben. Manchmal hatte ich sorge, dass ich irgendwann einbrechen würde. Von der Geschwindigkeit her war ich schon den ganzen Tag etwas über meine mir selber angedachten rote Linie. Ich wollte an sich immer etwas darunter bleiben. Aber das funktionierte nicht. Die Beine fühlten sich zum Glück ziemlich gut an, sodass ich nicht abreißen lassen musste.

Der Nachteil bei einer Langdistanz-Strecke ist vielleicht, das man eher mit Tunnelblick fährt. Ich habe gar nicht so viel von der Landschaft wahrgenommen, wie ich es sonst auf Touren tue. Ich war also ziemlich fokussiert auf die Strecke des SBE747.

Vorbei an Fleesensee und Kölpinsee kamen wir gegen Abend nach Waren/ Müritz. Was ein Segen, denn einige Kilometer vorher bekam ich urplötzlich einen Hungerast! Aus dem Nichts heraus. Was war ich froh, das ich noch eine Tüte Gummibärchen hatte! Gummibärchen saved my life! Ich schleppte mich gerade eben noch auf die Terrasse eines Restaurants, wo Chris und ich uns eine herrlich leckere Mahlzeit gönnten. Doch wie das manchmal so ist, bekommt man tatsächlich in dem Moment kaum einen Bissen hinunter. Ich musste mich quasi dazu zwingen, alles aufzuessen. Ziemlich paradox. 

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Auf der Suche nach einer Schlafmöglichkeit.

Wir fassten den Plan auf einem Campingplatz in rund dreißig Kilometern zu schlafen. Den hatte Chris sich schon ausgeguckt. Ich rief dort an, um nachzufragen, ob noch ein Plätzchen frei wäre. Niemand ging ran. Wir fuhren einfach drauflos. Das Glück würde uns schon hold sein. 

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Auch mit 25er Reifen ging’s anscheinend über solche Passagen.

Im Dunklen durch den Müritz Nationalpark zu fahren hat was. Der Weg schlängelte sich wunderbar durch die Bäume, aufpassen musste man auf diese ollen Betonplatten, die immer einen Schlag beim Übergang zur nächsten Platte ans Hinterteil abgaben.

In tiefster Dunkelheit kamen wir am Campingplatz an. Sobald wir mit den Rädern standen, umgaben uns ganze Mückenschwärme. Und niemand war auf dem Campingplatz für uns zuständig. Die Rezeption war geschlossen. Ein brummiger Restaurant-Chef, oder was immer der auch war, brabbelte irgendwas vor sich hin und meinte er habe keine Ahnung. Was ein Honk. 

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Ich sah hier eh keine Möglichkeit zu schlafen für mich. Bei den Mücken und ich dabei nur im Schlafsack, das würde kein gutes Ende nehmen. Chris hatte sein Biwi mit. Er hätte sich dort einfach hingelegt und am nächsten Morgen den Platz bezahlt. Ich wollte da aber lieber weiterfahren. Chris entschloss sich dann doch mit mir zu kommen.  

Schlafwagen-Massaker

Es war Dunkel, wir fuhren durch einen einsamen Landstrich, wo uns Hunde an entlegenen Gehöften bellend willkommen hießen. Unsere Trinkvorräte wurden immer weniger. Weit und breit gab es in dieser Gegend natürlich keine Gelegenheit unsere Vorräte aufzufüllen. Dieser Landstrich war sehr einsam. Am ehemaligen Flughafen Lärz, den die sowjetische Armee bis 1993 nutzte und heute ein Event-Gelände unter dem Namen „Kulturkosmos“ ist, sollte es Trinkwasser geben. Doch dem war nicht so. Auch im nächsten Ort, wo wir dachten, an der dortigen Kirche gäbe es wenigstens am Friedhof Wasser, täuschten wir uns. Es gab nicht mal einen Friedhof.

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Das Nachtquartier im Schlafwagen des SBE747 am Morgen. Nächtliche Exzesse durch Mücken und Regen gerade soeben überlebt.

Wir waren müde, wollten jetzt einfach nur noch ein Plätzchen zum Schlafen finden. In einem Dorf, auf der Bolzwiese mit überdachter Sitzgelegenheit, machten wir es uns mit letzten Trinkvorräten bequem. Schnell fielen wir in den Schlummerschlaf. Irgendwann wurde ich wach, es tröpfelte auf meinem Gesicht. Regen! Während Chris in seinem Biwi nichts mitbekam, sprang ich auf, packte meine Habseligkeiten auf die überdachten Bänke und den Schlafsack auf den Tisch. Wenn ich früher in Diskotheken auf dem Tisch getanzt habe, dann konnte ich nun auch mal auf einem Tisch schlafen.

Später als gedacht wurden wir wach. Es war halb acht. Bis wir unsere sieben Sachen gepackt und wieder an unseren Rädern verstaut hatten, dauerte es etwas. Als wir dann in den Sattel stiegen, wussten wir zumindest, dass es zwei Orte weiter, in Zempow, eine Möglichkeit zum Frühstück gab. 

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Frühstück vom Feinsten.

Im „EinLaden“, einem kleinen, schnuckeligen Öko-Lädchen, wartete die reizende Evelyn schon auf uns. Auf kunterbunten Stühlen und Bänken konnten wir es uns draußen bequem machen. Wir bekamen belegte Brötchen nach Wunsch serviert und sogar leckeres Rührei bereitete sie uns extra zu. Herrlich. Das tat gut. Das hier hatte großen Charme. Sie war dazu ganz interessiert an dem SBE747, hatte die Teilnehmer über das Dot-Watching verfolgt und erzählte ein wenig über die Fahrer, die bereits vor uns dort vorbeigekommen waren. Genau diese kleinen Begegnungen machen so einen Trip erst zu einem echten Roadmovie.

Trotzdem hatten wir viel Zeit verschenkt. Das sollte sich später noch rächen. Der Himmel war grau, nicht mehr so schön sommerlich wie am Vortag. Der Track war etwas ruppiger geworden, wir hatten Schwierigkeiten überhaupt irgendwie in einem runden Tritt zu kommen. Es fühlte sich wie Kaugummi an. Wir brauchten ewig, bis wir mal ein paar Kilometer auf dem Tacho hatten. Immer war irgendwas. 

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Zähes, verschwommenes Dahindödeln.

Mal rutsche das Gepäck am Fahrrad, mal suchten wir irgendwas in den Taschen, dann kam eine endlos lange Sandpassage im Wald, wo die Reifen förmlich eingesogen wurden und wir ordentlich Körner lassen mussten. Als Nächstes kam Regen, also dementsprechend Jacke anziehen und weiterfahren. Kaum waren wir wieder auf dem Rad, hörte der Regen nach zweihundert gefahrenen Metern einfach auf. Jacke wieder ausgezogen, weil es sonst zu warm darunter wurde. Das war alles nicht, wie es hätte sein sollen und hielt uns nur auf.

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Harmloser Weg, so dass ich mal ein Foto machen konnte.

Rheinsberg, mit dem schönen Schloss, dass ich von meinem Radurlaub in der Uckermark schon kannte, ließen wir achtlos links liegen. Über jedes Stückchen Asphalt freuten wir uns, denn das hieß, dass es auf dem Track des Super Berlin Express für uns ein wenig besser rollte. Erst hinter Lindow am Gudelacksee machten wir zügig Strecke. Eine breite Landstraße, aber auch leider mit etwas mehr Verkehr. Mein Wahoo zeigte mir Geschwindigkeiten um die 30 km/h an. Endlich kamen wir auf Touren.

Chris überlegte allerdings bereits, ob er nur bis Berlin fahren sollte. Er schien etwas angegriffen. Ich machte mir so meine Gedanken, wie es an diesem Tag laufen würde. Bei Herzberg kamen uns zwei Freunde von Chris entgegengefahren, die uns einfach ein Stück bis Berlin begleiten wollten. Nette Jungs, Gruß ein Max und Mitch an dieser Stelle. 

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Mitch, Chris und Max, v.l.

An einer Tankstelle bei Kremmen machten wir eine Pause. Ich hatte mir ein kühles Eis ausgemalt, dazu eiskalte Getränke. Die Beine waren schwer, die Tanke war in dem Moment das Paradies. Es gab dazu eine fantastisch stinkende Toilette.

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Genau so. Tag 2.

Dazu zog eine Regenfront auf, der Wind nahm sehr stark zu. Wir standen trocken, das war ein Vorteil. Doch alles andere war eher ein Nachteil. Die Zeit lief davon. Das war nicht gut. Zu viel Kilometer, die ich noch abreißen müsste an diesem Tag. Ich war hin- und hergerissen. Was tun? Was würde Sinn ergeben? 

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Eine Regenfront gab’s dann auch noch.

Und dann stand meine Entscheidung fest. Ich würde bis zum Checkpoint des Super Berlin Express fahren, wo ich die mysteriöse Spoke Card suchen würde und anschließend bis Potsdam rollen, um mit der Bahn heimzufahren. Berichte diverser Teilnehmer, die bereits auf dem Deich die Elbe wieder Richtung Hamburg fuhren, gaben mir den ausschlaggebenden Punkt. 

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Kurz vor Berlin.

Der Gegenwind sollte recht stürmisch, teilweise in den Wäldern gefährlich sein. Das würde bedeuten, dass ich den Schnitt nicht würde halten können und somit weniger Kilometer schaffen. Unterm Strich müsste ich am dritten Tag unter den Bedingungen noch viel zu viel Kilometer fahren, um adäquat Hamburg zu erreichen. Das war ernüchternd.

Trotzdem. Mein Minimal-Ziel, welches ich mir vor dem Start des SBE747 gesetzt hatte, nämlich Berlin zu erreichen, würde ich erfüllen. Mit gemischten Gefühlen rollte ich über Schönwalde auf Berlin zu und wir passierten das Ortsschild. Wir ballerten quasi auf breiten, manchmal holprigen Radwegen durch die Straßen von Berlin. Noch waren es einige Kilometer bis zur Glienicker Brücke, der historischen Kulisse für den Checkpoint.

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Tatsächlich. Minimal-Ziel in greifbarer Nähe.

Vorher galt es noch Höhenmeter auf dem Teufelsberg zu sammeln, wo die ehemalige Abhörstation steht. Doch Chris war hier jetzt fix und fertig. Er fuhr erst gar nicht mehr mit hoch, sondern wartete am Fuße des Hügels. Er würde den Checkpoint auch nicht mehr mitnehmen, sondern das Handtuch werfen. Ihm ging es nicht gut. Und dann ist es richtig zu sagen, dass es jetzt nicht mehr weitergeht. 

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Eintritt auf dem Teufelsberg? Also irgendwie…nö.

Wir schmiedeten einen Pakt. Da ja anscheinend für uns beide nun noch eine Rechnung beim Super Berlin Express offen ist wollen es im nächsten Jahr noch einmal versuchen. Deal. Wir verabschiedeten uns voneinander. Ich fuhr jetzt noch einige Kilometer alleine durch Grunewald, am Wannsee vorbei und durch dem Düppeler Forst, bevor ich an der Glienicker Brücke ankam. Kurz vorher, an einer Hauswand, wohin man durch etwas Gestrüpp musste, fand ich die geheimnisvolle Kiste mit den Spoke Cards. Jeder Teilnehmer nahm immer nur die oberste Karte an sich. Die waren nummeriert, und ordentlich durchgemischt. 

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Gefunden. Die geheimnisvolle Spoke Card. An der Glienicker Brücke.

Ausstieg beim Super Berlin Express

Ich sackte meine Nummer ein, es war die 91, und dann war es das. Es war ein komisches Gefühl, das es jetzt für mich vorbei war. Wieso nicht einfach weiterfahren? „Trete in die Pedale und los!“, fuhr es mir durch den Kopf. Nein, das würde nicht hinhauen. Ich wusste es. Es war zwar okay für mich jetzt aufzuhören, doch ich wurde ziemlich melancholisch. Ich kann das schlecht in Worte fassen, kaum zu glauben, aber mir wurde wehmütig ums Herz und irgendwie wurde ich auch etwas sentimental. 

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Am Checkpoint. Und Ausstieg aus dem SBE747. Auch wenn ich hier grinse, es fühlte sich nicht ganz so toll an.

Es war schön gewesen. Die ganzen Kilometer. Jeden verdammten, verfluchenden einzelnen Kilometer! Auf eine solche Strecke zu gehen, bedeutet auch, dich über normale Gewohnheiten hinwegzusetzen. Dafür gewinnst du ein Stück Freiheit, welches du im Alltag kaum finden wirst. Die Erfahrungen kann dir niemand nehmen. Dazu lernst du Leute kennen, die genauso leiden und trotzdem Spaß haben, wie du selber. Und die ganz genau nachfühlen können, wie es dir unterwegs in diesem einen Moment im Hier und Jetzt geht. 

Die kleinen Geschichten, die du um das Radfahren drumherum erlebst, bleiben mir zumindest oft gut im Gedächtnis hängen. Zu erkennen, mit welchen einfachen Dingen du Menschen ein Lächeln auf den Lippen abringen kannst, ist großartig. Freundlichkeit. Gelassenheit. Ein nettes Wort. Ein Lächeln. Auch ich lerne das immer wieder aufs Neue. Auf dem Rad. Was wäre also, wenn noch mehr Menschen Radfahren, wäre die Welt dann vielleicht ein kleines Stückchen besser dran?

Danke für die Orga, die Liebe zum Detail, die Idee, die Streckenwahl, den vielen Mücken, den tollen Erfahrungen, den netten Menschen, das Frühstück bei Evelyn, dem Sand im Antrieb, den Schweiß auf der Stirn, den Ritt über buckelige Pisten, den Tipp von Harald Legner, das Leiden, den Spaß, den Spirit, für all die ewigen Erinnerungen. Danke.

Nr.91 / DNF

Infos zum Super Berlin Express gibt es auf der Hompage des SBE747

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